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Orgelbearbeitung der Variationen über ein Thema von Haydn op. 56 von Johannes Brahms
Die Haydn-Variationen von Johannes Brahms existieren in den zwei vom Komponisten erstellten Fassungen op. 56a für Orchester und op. 56b für zwei Klaviere. Das Variationsthema ist der sogenannte „Chorale St. Antoni“ aus dem zweiten Satz des sechsten Divertimentos in B-Dur Hob.II:46 von Joseph Haydn. Die Melodie stammt aber wahrscheinlich nicht von Haydn selbst, sondern war nach dem legendären Musikkritiker Eduard Hanslick ursprünglich ein Wallfahrtslied zu Ehren des heiligen Antonius.
Das Choralthema steht in dreiteiliger Liedform ||:A:||:BA:||, bietet aber eine Besonderheit: Die an sich achttaktige Periode des A-Teils ist beide Male um zwei Takte erweitert. Sowohl der Vorder- als auch der Nachsatz (je 4 Takte) haben immer einen Einschub in der Mitte: 2+1+2 Takte; die dadurch 2 x 5 Takte des A-Teils ergeben also statt ||:8:||:8+8:|| Takte insgesamt ||:10:||:8+10:|| Takte. Diese interessante und wunderschöne Erweiterung behält Brahms alle Variationen hindurch bei. Der Abwechslungsreichtum der acht Variationen in Melodik, Rhythmik, Harmonik, Tempo, Klangfarben und Charakter ist schlicht und einfach überwältigend. Für das Finale gewinnt Brahms aus dem Choral schließlich ein fünftaktiges Bassthema, das in 20 Variationen die unglaublichsten Metamorphosen erlebt. In den letzten drei Variationen erhebt sich nach kurzer imitatorischer Einleitung der „Chorale St. Antoni“ im Fortissimo über die anderen Stimmen und drängt einem fulminanten Schluss entgegen.
Brahms strebte als romantischer Klassizist natürlich die Vollendung der klassischen Formen an; die Vermutung liegt also nahe, dass die formale Ähnlichkeit des Finales der Haydn-Variationen mit Bachs Passacaglia kein Zufall ist. Das an sich schon hervorragende Thema und die außergewöhnliche Schönheit der Brahms-Variationen haben mich so fasziniert, dass ich mich in den Neunzigerjahren entschlossen habe, das Werk für Orgel zu bearbeiten. Inspiriert hat mich auch, dass die Organisten der Romantik vor der Elektrifizierung der Orgeln auf sogenannten Pedalflügeln übten, sodass eine Verbindung von op.56b mit der Orgel nicht unmöglich schien. Das Unterfangen war überaus schwierig, weil die Orchesterfarben von op. 56a sich nicht ohne Kompromisse auf die Orgel übertragen ließen. Außerdem ist schon die Fassung für zwei Klaviere für beide Pianisten äußerst anspruchsvoll, sodass die technische Bewältigung dem Organisten vor allem in den polyrhythmischen Strukturen wirklich alles abverlangt.