Zwischen Easy und Hard Listening

Das musikalische Erbe von Burt Bacharach und Friedrich Cerha

von Florian Boberski (17.02.2023)

Obwohl die Musikstile Cerhas und Bacharachs sehr unterschiedlich erscheinen, waren beide Komponisten auf ihre eigene Weise avantgardistisch. Ihr Schaffen zeigt die große Bandbreite musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten. Ein Plädoyer für die Vielfalt und gegen die Kategorisierung von Musik

Ausgerechnet in der ‚Grammy-Woche‘, am 8. Februar, verlor die Welt eine Ikone der Popgeschichte und des Songwritings: Burt Bacharach, bekannt für Evergreens wie „Raindrops Keep Fallin' On My Head“.

Wenige Tage später, am Valentinstag starb der österreichische Komponist Friedrich Cerha, der als einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten galt und neben der Vollendung der Oper „Lulu“ von Alban Berg mit weiteren Opern und Orchesterwerken Musikgeschichte schrieb.

Der Amerikaner Burt Bacharach

„Ich habe keine Regeln, außer einer: Mach es dem Zuhörer nicht schwer.“

Burt Bacharach wurde 1928 als Sohn eines Journalisten und einer Musiklehrerin in Kansas City, Missouri geboren. Bacharach selbst nannte „Daphnis et Chloé“ von Maurice Ravel als prägend und kannte keine Berührungsängste vor unterschiedlichen Stilrichtungen. Neben einer Begeisterung für Jazz und Bossa Nova studierte er klassische Komposition. Seine Studien führten ihn nach Montreal, New York und Montecito (Kalifornien).

Zu seinen Lehrern zählten der Amerikaner Henry Cowell, der tschechische Komponist Bohuslav Martinů und der französisch-stämmige Darius Milhaud. Letzteren bezeichnete Bacharach als seinen größten Mentor. Viele andere Studenten von Milhaud komponierten im Stile der damals aktuellen, dissonanten Zwölftonmusik, sodass sich Bacharach beinahe für den melodiösen Anteil in seiner Komposition schämte. Milhaud sagte darauf zu ihm: „Schäme dich niemals dafür, etwas Melodisches zu schreiben, das sich die Leute merken und nachpfeifen können.“

Genau diesen Rat setzte er um. Die Hits von Bacharach, und derer gab es mit 73 US Top-40 Hits viele, sind auf jeden Fall Ohrwürmer und wurden von namhaften Interpreten wie Dionne Warwick, Aretha Franklin, Marlene Dietrich, Elvis Costello, Neil Diamond, Tom Jones und vielen weiteren Stars gesungen. Aus den vielfältigen stilistischen Einflüssen entstanden Evergreens wie „I Say A Little Prayer“, „Raindrops Keep Fallin' On My Head“ und seine persönlichen Lieblingskomposition „Alfie“.

Seine sanft klingenden Liebeslieder wurden von manchen Kritikern in die bei Komponisten unbeliebte Schublade ‚Easy Listening‘ gesteckt. Doch Bacharachs Kunst bestand genau darin, aufwendig komponierte Lieder leicht und eingängig klingen zu lassen, für die er mit sechs Grammys und zwei Oscars ausgezeichnet wurde.

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Probe zu „I Say A Little Prayer“ mit Textdichter Hal David und Bacharachs langjähriger Muse Dionne Warwick

Der Österreicher Friedrich Cerha

„Könnte man Musik beschreiben, wäre sie überflüssig.“

Friedrich Cerha wandte sich hingegen ganz dem Zeitgeist der Avantgarde zu und wagte sich u. a. an die Vollendung von Alban Bergs Oper „Lulu“, eine der bedeutendsten Zwölftonkompositionen. Cerha, der 1926 in Wien geboren wurde, spielte darüber hinaus eine wichtige Rolle im Bereich der Neuen Musik. Seine Werke zeichnen sich durch eine komplexe Struktur, ungewöhnliche Instrumentation und eine Vorliebe für experimentelle Techniken aus.

Technische Mittel wie „serielle, zwölftönige oder magische Quadrate“ betrachtete er nur als Hilfsmittel, um seine eigenen, ganz individuellen Klangvorstellungen zu verwirklichen, wie in den 60ern mit dem siebenteiligen Orchesterwerk „Spiegel“ oder „Mouvements“ für Kammerorchester. Später feierte er Erfolge mit seiner Oper „Baal“ über Bertolt Brechts gleichnamiges Drama. Dass auch Komponisten der ‚ernsten Musik‘ Humor besitzen, bewies er mit den „21 naseweise Notizen“, kurzen Kompositionen für Klavier mit humorvollen Überschriften, und der erst 2013 uraufgeführten komischen Oper „Onkel Präsident“.

Darüber hinaus lehrte er fast 30 Jahre Komposition, Notation und Interpretation Neuer Musik an der Hochschule für Musik in Wien. Cerha komponierte bis ins hohe Alter und blieb interessiert am aktuellen Musikgeschehen. Noch 2009 wurde er durch die Uraufführung des Konzerts für Schlagzeug und Orchester, das er für den damals erst 26-jährigen, österreichischen Schlagwerker Martin Grubinger geschrieben hatte, auch einem jüngeren Publikum bekannt. 2012 erhielt er den renommierten Ernst-von-Siemens-Preis für sein Lebenswerk.

Wer mehr über Friedrich Cerhas umfassendes Schaffen erfahren möchte, findet auf Cerha-Online.com eine hervorragend gestaltete Plattform.

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Das Konzert für Schlagzeug und Orchester mit Martin Grubinger

Easy vs. Hard Listening?

„Musik ist der vollkommenste Typus der Kunst: Sie kann ihr letztes Geheimnis nie enthüllen.“ (Oscar Wilde)

Wenn Burt Bacharachs Musik als ‚Easy Listening‘ bezeichnet wird, gelten dann Friedrich Cerhas Kompositionen als ‚Hard Listening‘? Der eine entschied sich früh für eingängige Melodien, die Menschen begeistern und zum Tanzen und Nachsingen einladen, der andere vertiefte die Experimente, die klassische Musik über die Zwölftonmusik hinaus zu neuen Dimensionen zu führen.

Während die Musik Bacharachs, die man durchaus im Hintergrund laufen lassen kann, die meisten Menschen in eine entspannte, fröhliche Stimmung versetzen wird, bereitet die Musik Cerhas, bei der man mehr gewinnt, wenn man konzentriert zuhört, ‚untrainierten‘ Hörern vielleicht sogar Kopfzerbrechen und Unbehagen.

Im 20. Jahrhundert wurde Popmusik oft verächtlich als ‚Easy Listening‘ und wertlos herabgewürdigt, umgekehrt wurde die ‚ernste klassische Musik‘ als anspruchsvoll und seriös bewertet. Doch auch diese wird von manchen - selbst in der klassischen Welt - kritisch gesehen.

Nicht alle Komponisten der klassischen Musik identifizieren sich mit den Strömungen der ‚zeitgenössischen ernsten Musik‘, sondern basieren ihren Kompositionsstil auf bewährten tonalen Ausgangspunkten, wie die junge Komponistin Alma Deutscher, eine eifrige Verfechterin der melodiösen, ur-klassischen Musik. Ihren klaren Standpunkt dazu hat sie auch in ihre neueste Oper einbaut: „In [meiner] Oper gibt es eine heitere Satire auf die klanglose Welt der atonalen klassischen Musik der Moderne. Diese prätentiöse Welt der Musik, die nur kluge Leute verstehen können und für den Rest von uns nur wie Lärm klingt.“ (Quelle)

Die Schwierigkeit der Kategorisierung von Musik

Ist es aber überhaupt wichtig, eine Musik über die andere zu stellen? Sollten wir nicht dankbar für die Vielfalt der musikalischen Ausdrucksweisen sein? Das Hauptproblem scheint der Versuch, Musik zu bewerten, zu klassifizieren und ganze Musikstile in Schubladen, die bestimmte Assoziationen wecken, stecken zu wollen. Denn selbst innerstilistisch gibt es eine enorme Bandbreite und Vielfalt.

Vielleicht sollte man es wie der stilistisch vielseitige Komponist Kurt Weill nehmen: „Es gibt keinen Unterschied zwischen U- und E-, zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik, sondern nur zwischen guter und schlechter Musik.“ Doch selbst was ‚gute‘ bzw. ‚schlechte‘ Musik ist, liegt immer noch am ganz individuellen Geschmack eines Zuhörenden.

Moritz Eggert, aktueller Präsident des Deutschen Komponistenverbandes und damit oberster Interessensvertreter Komponisten aller Sparten, führt es so aus:

„Der Begriff ‚Ernste Musik‘ ist ein (schlechter) Hilfsbegriff um bestimmte Arten von Musiken zu beschreiben. Natürlich gibt es unterhaltsame E-Musik und sogar auch ‚ernste‘ U-Musik. Die Filmmusik eines Horrorfilms will zum Beispiel ganz sicherlich nicht ‚unterhaltsam sein‘, sondern das Gefühl einer Bedrohung vermitteln, und Mozart oder Haydn hätten sich sehr gewundert, wenn man ihre Musik als ‚nicht unterhaltsam‘ bezeichnet hätte, sie wären beleidigt gewesen. Selbstverständlich kann also E-Musik ‚unterhalten‘.“

Eins steht fest: Friedrich Cerha und Burt Bacharach waren zwei herausragende Komponisten, die einen bleibenden Eindruck in der Welt der Musik hinterlassen haben und über ihren Tod hinaus Generationen von Musikern und Musikliebhabern inspirieren und beeinflussen werden. Ihre Kompositionen zeigen, wie vielfältig Musik und die Erfahrung von Musik sein können.

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