Aktuelles
Im Zuge der Corona-Pandemie kam es zu einen großen Stillstand in der Chormusik, viele Chöre haben Mitglieder und vor allem den Nachwuchs verloren. Welche Auswirkungen hatten die letzten Jahre auf dich und deine Chöre?
Das ist natürlich ein großes und für viele Chöre schmerzliches Thema. Ich bin froh und dankbar, dass ich mit meinen Chören ganz gut durch die Krise gekommen bin. Wir hatten recht wenig Probenausfall und trotz der Zoomproben hörbare Fortschritte gemacht, weil die SängerInnen fleißig an den Proben teilgenommen haben.
Aus gesangspädagogischer Sicht war es ganz gut, dass die SängerInnen auch einmal alleine sitzen und singen mussten. Das hat, gezwungenermaßen, ihre sängerische Eigenleistung und das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten absolut gefördert. Und sie merken jetzt, wie sie von ihrer Mühsal der letzten Jahre profitieren.
Hat sich die Situation seither wieder normalisiert?
Da wir das Glück hatten, während der Pandemie mehr SängerInnen zu gewinnen als zu verlieren, können wir, was die Konzertplanung anbelangt, wieder aus dem Vollen schöpfen. Zurück in unsere angestammten Proberäume konnten wir mitunter dank unserer Chorverbände, die uns einen hochwertigen Ionisator (Luftreiniger) zur Verfügung gestellt haben.
Für mich als Sängerin und Chorleiterin hat sich allerdings noch nicht normalisiert, dass eine Coronainfektion wie ein Damoklesschwert über jeder Begegnung in kleinen Räumen mit vielen Menschen hängt.
In zwei Wochen haben wir mit einem meiner Chöre ein riesiges Musical in der EWS Arena in Göppingen vor uns. Es wurden hunderte Karten verkauft, eine Band eingekauft und viel Technik ausgeliehen. Personell ist in diesem Chor keine Doppelbesetzung möglich. Solche Situationen, wo jemand kurzfristig komplett ausfällt, häufen sich seit Corona immens. Und im schlimmsten Fall steckt jemand unwissentlich bei der letzten Chorprobe noch einige SängerInnen an etc. Ich werde sicher noch lange brauchen, bis ich solche Krisensituationen als normal ansehe.
In Deutschland gibt es mit dem Deutschen Chorverband und vielen regionalen Chorverbänden zentrale Anlaufstellen und Ansprechpartner für Chöre und Chorleiter. Wie gut bist du in der Hinsicht vernetzt / informiert und nutzt du die diversen Angebote und Hilfestellungen?
Bis jetzt habe ich einmal während der Corona-Pandemie mit dem schwäbischen Chorverband Kontakt aufgenommen, da es um die Klärung einer Auslegung der baden-württembergischen Coronamaßnahmen ging. Ansonsten gebe ich für die Chorverbände regionale Seminare für die SängerInnen und Chorleiter zu Themen wie Stimme, ein gesundes oder gesangspädagogisch wertvolles Einsingen etc.
Chorprobe
Wie viel Wert legst du auf das Einsingen / Stimmbildung?
Sehr viel! Das nehme ich sehr genau und da kommt auch kein Chor drumherum.
Das Instrument Stimme entsteht ja aus einem Zusammenspiel mehrerer Körperregionen und einer Vielzahl motorischer Abläufe. Um eine klangschöne, gesunde Stimme zu erreichen, müssen diese Prozesse koordiniert und die Muskulatur partiell gelockert und/oder gestärkt werden. Das ist der erste Teil des Einsingens. Die SängerInnen können dabei aus dem Alltag ankommen und sich ihres Körpers bewusst werden.
Weiter geht es dann mit Stimmübungen, bei denen ich gezielt stimmliche Eigenschaften meiner SängerInnnen versuche zu fördern. Das heißt, je nach Länge einer Probe sind es 15 bis 20 Minuten, die ich mit Körper-Warm-Ups und Stimmübungen verbringe, um die individuelle Stimme zu fördern, aber auch den Chorklang zu verbessern.
Wie studierst du ein neues Stück ein?
Das kommt auf das Stück an. Hat es zum Beispiel eine komplexe rhythmische oder harmonische Struktur, überlege ich mir daraus eine Übung, die ich den SängerInnen dann beim Einsingen bereits beibringe. Meiner Erfahrung nach hilft es ungemein, wenn die SängerInnen nicht durch allzu viele Noten verwirrt werden und Musik eher intuitiv erlernen.
Ist Klavierbegleitung notwendig?
Je mehr die SängerInnen ohne Unterstützung eines Instruments singen können, umso stärker ist aus meiner Sicht die musikalische und sängerische Entwicklung. Deswegen: so wenig wie möglich und so viel wie nötig.
In welchen Genres sind deine Chöre zuhause?
Ich leite momentan einen Kirchenchor und mehrere Chöre, die im Pop-, Rock- und Musicalbereich zuhause sind.
Wie wählst du deine Programme aus? Gibt es bestimmte Arrangeure und Verlage, die du favorisierst?
Das ist je nach Chor ganz unterschiedlich. Die älteren Sangessemester mögen deutschsprachige und teilweise einfachere Kompositionen. Da wende ich mich gern an den Arrangement Verlag. Grundsätzlich fehlt es aber aus meiner Sicht in diesem Segment an Literatur. Gerade auch ansprechende deutschsprachige Musik, die nicht dem Schlagergenre angehört, ist in meinen Augen Mangelware.
Für unterschiedlichste englischsprachige Pop-, Rockarrangements wende ich mich meist Verlagen aus den USA zu. Die musikalische Vielfalt, auch was die Schwierigkeitsgrade anbelangt, ist dort einfach umwerfend.
Du leitest sowohl gemischte Chöre, als auch einen Frauenchor und einen Männerchor – gibt es da für dich Unterschiede in der Chorleitung? Machst du Registerproben?
Ja, es gibt da teilweise große Unterschiede. Jeder Chor ist allein schon durch die Altersstruktur, seine örtliche Lage in Stadt oder Land, die geschlechtliche Zusammensetzung (Frauen-, Männer-, gemischter Chor) und die Persönlichkeiten und das Können der SängerInnen ein eigener Kosmos. Frauenchöre brauchen in der musikalischen Arbeit eine andere Herangehensweise als Männerchöre. Wo ich Frauen eher über die emotionale Ebene erreiche, helfen in der Probenarbeit bei Männerchören eher strukturierende Impulse. Gemischte Chöre sind deswegen umso spannender, da man beide Arbeitsweisen einbringen darf.
Registerproben mache ich gern, aber leider, oft aus Zeitgründen, zu selten. Das steht absolut auf meiner Chor-To-Do-Liste für dieses Jahr.
Hast du auch Erfahrungen mit einem Kinderchor?
Ich habe bereits zwei Kinderchöre geleitet. Das ist eine ganz besonders erfüllende und intensive Arbeit. Allerdings benötigen Kinderchorproben eine umfangreiche Vorbereitung, die meistens leider nicht finanziell honoriert wird. In den Vereinen erlebe ich oft, wie der Kinderchor und die Finanzierung des/der KinderchorleiterIn nebensächlich behandelt werden oder der Vorschlag kommt, dass doch die Tochter von Sängerin XY, die keinerlei chorleiterische Qualifikation hat, den Kinderchor leiten könnte. Dabei sollte genau hier die meiste Förderung geschehen, sei es musikalischer und finanzieller Art.
Wie wirken sich das Internet und die Technologie auf die Welt der Musik aus? Nutzt du digitale Noten?
Ich habe meine Chorleiterinnenlaufbahn noch zu einer Zeit begonnen, in der es im Internet nur vereinzelt Noten zur Ansicht gab und man diese dann auch nur in Papierform bestellen konnte. Das war sehr zeitaufwändig und manchmal auch enttäuschend, wenn das bestellte Arrangement nicht den Erwartungen entsprach. Dieser Zeit weine ich keine Träne nach. Durch die Digitalisierung bekomme ich jetzt eine weitaus vielfältigere Notenauswahl. Ich kann nun das ganze Lied in der Vorschau bis zur letzten Seite anschauen und oft auch anhören. Mit zwei Klicks habe ich die Noten dann gekauft und heruntergeladen. Das ermöglicht mir, viel gezielter für das Können meiner SängerInnen einzukaufen und die Konzertprogramme thematisch passend zu gestalten.
Wie sieht es in deinen Chören aus? Wie viele benutzen ein Tablet zum Singen?
Das ist ganz unterschiedlich. Es kommt dabei auf das Alter der SängerInnen und die Notenlogistik an, die die Vereine haben. Manche Chöre haben eine seit Jahren gepflegte Sängermappe. Da sind alle Noten enthalten, die die SängerInnen kennen und können. Diese zu digitalisieren oder neue digitale Noten zu erwerben, wäre Unsinn. Mein Chor im mittleren Alter bekommt die neuen Noten seit der Corona-Pandemia nur noch digital. Manche drucken diese dann aus, andere nutzen ein Tablet. Da liegt die Quote etwa bei 70 % Papier zu 30 % digital. Bei meinem jüngsten Chor im Alter zwischen 20 und 35 Jahren sind mittlerweile 90 Prozent digital unterwegs.