Klassischer Jazz oder verjazzte Klassik?

Eine Würdigung des Komponisten Nikolai Kapustin

von David Rauh (09.07.2020)

In den Kompositionen des kürzlich verstorbenen Komponisten Nikolai Kapustin verbinden sich Elemente des Jazz mit einem klassischen Kompositionsgedanken. Dieser Beitrag wirft ein Schlaglicht auf das Faszinosum seiner Musik und ihre Rezeption.


© Schott Music / Peter Andersen

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Am 2. Juli 2020 verstarb im Alter von 82 Jahren Nikolai Kapustin, der es wie kaum ein anderer verstand, klassische Formen mit Jazz-Idiomen zu verbinden.

Allein ein Blick in seine 24 Präludien und Fugen op. 82 zeichnet davon ein eindrückliches Bild. An die Tradition nach Bachs Wohltemperiertem Klavier anknüpfend, nutzt er das Potenzial, die Vielstimmigkeit, die schon im improvisierten Jazz angelegt ist, in eine Ordnung zu bringen und motivisch engzuführen. Mit den modernen harmonischen Möglichkeiten gelingen ihm dazu noch so manche waghalsige kontrapunktische Kniffe.

Nikolai Kapustins Kompositionsweise ist klassisch, aber sein Ausdrucksrepertoire ist inspiriert von Elementen und Stilrichtungen, die man aus dem Umfeld des Jazz kennt, darunter:

An anderer Stelle mutet seine Musik aber auch nachromantisch an, wie etwa im langsamen Satz des zweiten Cellokonzerts. Oder sie experimentiert mit der Zwölftontechnik, so z.B. in seiner vierten Klaviersonate op. 60. Aber die rhythmisch stark akzentuierte, synkopische Musik mit reichlich harmonischen Extensions herrscht stets vor.

Kapustin selbst sah seine Musik nie als „Jazz“, denn für ihn fehlte eine entscheidende Komponente – die Improvisation. Seine Werke entstanden zwar mitunter aus Improvisationen am Klavier, aber der Prozess des Aufschreibens, Festlegens und Verfeinerns des zuvor Improvisierten war ihm wesentlich wichtiger.

Jazzpianist in der Sowjetunion

161 Opera zählt sein Werkkatalog, darunter 20 Klaviersonaten, sechs Klavierkonzerte, zwei Cellokonzerte, Klaviertrios und Streichquartette sowie etliche Stücke für Klavier solo. Als Pianist nahm das Klavier eine besondere Stellung in seinem Schaffen ein und ist in den meisten seiner Kompositionen vertreten. Schon mit 14 Jahren zog der junge Kapustin von seiner Heimatstadt Horliwka (Ukraine) nach Moskau, um bei Avrelian Rubakh und Alexander Goldenweiser Klavier zu studieren.

In den 60er und 70er Jahren war Kapustin innerhalb der Sowjetunion vor allem als Jazzpianist und Jazzkomponist bekannt, als er im Orchester von Oleg Lundstrem und im Moskauer Rundfunkorchester spielte und später in den sowjetischen Komponistenverband aufgenommen wurde.

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Wachsende Fan-Gemeinde

International war er jedoch lange Zeit ein Unbekannter, was wohl auch an der hohen Einstiegshürde seiner herausfordernden Stücke liegen mag. Vielleicht aber auch daran, dass Kapustin einige seiner Klavierwerke selbst einspielte. Die so entstandenen acht Tonträger liefern ein Monument der autoritären Setzung, das eine fulminante Spieltechnik voraussetzt: In extrem hohen Tempi brilliert er in seinen virtuosen und vieltönigen Stücken.

In Japan etablierte sich eine erste eingeschweißte Fangemeinde, weshalb Kapustins letzte Aufnahmen auf japanischen Labels erschienen sind. Aber erst Steven Osbournes preisgekrönte Einspielung von 2000 führte dazu, dass sich immer mehr Künstler wie Marc-André Hamelin oder Ludmil Angelov an sein Werk heranwagten. Vor dreizehn Jahren trugen auch Videos des Komponisten selbst dazu bei: So faszinierte u. a. dessen Impromptu Allegro Meccanicamente die damals noch junge Youtube-Community.

Seine Acht Konzertetüden op. 40 sind heute zwar beliebte Zugabenstücke, aber darüber hinaus findet man trotz gewachsener Popularität kaum Werke Kapustins in den (deutschen) Konzertprogrammen. Zu wünschen wäre es aber, denn seine Musik ist im weitesten Sinne postmodern: Sie strotzt voller Ideen, wie verschiedene Stile kompositorisch äußerst effektiv vereint werden können und letztlich einen unverkennbaren Personalstil erzeugen.

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