Variationen mit Haydn

Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages, wünschte sich 2016 ein Klavierwerk von mir, das sich mit der deutschen Nationalhymne auseinandersetzt und zu seinem politischen Abschied im Herbst 2017 uraufgeführt werden sollte. Eine schwierige Aufgabe, deren Lösung weitgehende Überlegungen vorausgingen. Die für mich zentrale Frage war: Was bedeutet mir an Deutschland am meisten? Ich beantwortete die Frage für mich: Aufklärung und Idealismus des 18. Jahrhunderts. Dazu fielen mir sofort Lessing, Goethe und Schiller ein, von denen es nur noch ein Schritt zu Haydn, Mozart und Beethoven ist. Die Musik der deutschen Nationalhymne stammt von Joseph Haydn, der das Thema selbst in seinem Streichquartett op. 76,2 variierte. Von diesen Variationen fertigte Haydn selbst – was er selten tat – eine Fassung für Klavier an. Der Ausgangspunkt und die zentrale Idee eines Variationszyklus mit Haydns eigenen Variationen war gefunden. Die Kompositionstechniken sind die spezifischen der deutschen Musik, nämlich Kontrapunktik, motivische Arbeit, entwickelnde Variation und Reihentechnik. Der Titel Variationen mit Haydn macht deutlich, das Haydns eigene Variationen Bestandteil des Werkes sind, die bei ihrem Erscheinen aber sofort geringfügig verändert werden. Das Stück besteht aus dem Thema im Satz von Haydn mit einem Orgelpunkt unterlegt, vier Gruppen von je vier Variationen, deren jeweils erste sehr nah und hörbar an Haydn angelegt ist und die sich im Verlauf immer weiter von Haydns Vorlage entfernen. Die 16. Variation ist eine Fuge, die den Tonartenraum des gesamten Stückes noch einmal durchmisst, bevor das Thema – beschädigt, aber nicht gebrochen – sehr leise und nachdenklich noch einmal erklingt. Stefan Heucke