Unter Rameaus in zwei Hauptfassungen überlieferten Bühnenwerken wie „Dardanus“ (1739, 1744), „Platée“ (1745, 1749) und „Zoroastre“ (1749, 1756) geriet keines so lange in Vergessenheit wie „Castor et Pollux“. Im Oktober 1737 uraufgeführt, beschloss Rameau erst 1754, „Castor et Pollux“ zu überarbeiten. Er bat seinen Librettisten „Gentil-Bernard“, der Tragödie einen ersten Akt hinzuzufügen und die brüderliche Freundschaft zwischen Castor und Pollux stärker zu betonen.
Die Haupthandlung bleibt derjenigen von 1737 dabei sehr ähnlich – abgesehen davon, dass die Schwestern Télaïre und Phébé nicht mehr die eine in Castor und die andere in Pollux verliebt sind, sondern beide in Castor, weshalb Phébé eifersüchtig auf Télaïre ist. Bereits zu Beginn des ersten Aktes gibt Pollux seine Liebe zu Télaïre zugunsten von Castor auf. Dieser wird von Linceus getötet und findet sich im Totenreich wieder. Pollux verpflichtet sich zur Rettung seines Bruders, opfert seine Unsterblichkeit und erklärt sich bereit, dessen Platz in der Hölle einzunehmen, damit Castor mit Télaïre wiedervereint werden könne. Der von diesem Opfer gerührte Jupiter befreit Pollux und schenkt beiden, die ihren Platz im Tierkreis einnehmen, die Unsterblichkeit.
Nach den Prinzipien der „Opera omnia Rameau“ (und im Gegensatz zur 1903 von August Chapuis innerhalb der alten Werkausgabe vorgenommenen Edition) erscheinen die beiden Fassungen von „Castor et Pollux“, die Fassung von 1737 (OOR IV.3) und die hier vorliegende Fassung von 1754 (OOR IV.23), in ihrer Gesamtheit in zwei getrennten Bänden. Dank der Entdeckung des originalen Aufführungsmaterials, das heute in der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahrt wird, kann die zweite Fassung von 1754, die bislang zu Unrecht im Schatten der Fassung von 1737 stand, jetzt mit ihrer strafferen Handlung in ihrer ganzen Kraft und dramatischen Wucht präsentiert werden.
Diese Edition ist außerdem angereichert mit zwölf Ergänzungen, die es ermöglichen, auch die Fassung der Wiederaufnahme von 1763-1764 aufzuführen.