Antonio Salieri schafft es in unseren Tagen vergleichsweise selten zu Premieren-Ehren an einem Opernhaus. Hat das mit dem Image zu tun, das ihm Milos Forman 1984 in seinem Filmerfolg „Amadeus“ verpasste – als geistlosen, hölzernen, eifersüchtigen Musiker?
Christophe Rousset: Ja. Es ist immer schwer, ein Werk von ihm aufzuführen. Diese Idee, dass er ein Komponist zweiten Ranges sei, ist in den Köpfen verankert – obwohl das völlig falsch ist. Die Beziehung zwischen Mozart und Salieri war eigentlich gut und von gegenseitigem Respekt geprägt. Die Vorstellung eines Konflikts zwischen den beiden ist falsch. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert – aus einer Zeit, als auch die Legende zunehmende Verbreitung fand, Salieri hätte Mozart aus Eifersucht auf dessen Genie vergiftet. Ich habe viel von Salieri dirigiert, auf Französisch, auf Italienisch, sowohl komische Opern als auch solche aus dem Genre der Opera seria.
Wie würden Sie seine Musik charakterisieren?
C. R.: Er ist jemand, der als Komponist einen starken Charakter besitzt und immer versucht, etwas Neues zu liefern. In klanglicher und dramatischer Hinsicht war er äußerst erfindungsreich, die Formen werden in seinen Opern geschmeidig: In „Cublai Kan“ kann eine Arie zum Beispiel mit einem Accompagnato-Rezitativ enden, eine dritte Person plötzlich in ein Duett hineinplatzen. In dieser Oper sind die Arien außerdem sehr kurz.
Sollte man Salieri eher als barocken oder klassischen Komponisten betrachten?
C. R.: Als klassischen. Seine Musik spricht die gleiche Sprache wie jene von Mozart.
Warum ist Mozart in die Musikgeschichte eingegangen und Salieri, seinerzeit von Kaiser Joseph II. mit Ämtern und Arbeitsaufträgen überhäuft, nicht?
C. R.: Gute Frage. Vielleicht liegt ein Teil der Antwort darin, dass Mozart viel Kammermusik geschrieben hat, Salieri kaum. Wenn man damals ein Amateurmusiker war, konnte man daheim die Klaviermusik von Mozart spielen, seine Sonaten interpretieren und Lieder singen. Salieri hat dagegen fast nur große Werke geschrieben: Messen, Oratorien, Opern, aber kaum Musik für den Hausgebrauch. Vielleicht war dadurch die Wahrscheinlichkeit für Salieri höher, in Vergessenheit zu geraten.
Gehen die Melodien von Salieri auch so leicht ins Ohr wie jene von Mozart?
C. R.: Ich finde, sie sind sehr schön.
Wird Salieri dennoch weiterhin ein Fall für Spezialaufführungen bleiben, für Stagione-Opernhäuser und Alte-Musik-Festivals?
C. R.: Ich hoffe nicht. Seine Werke besitzen Bedeutung. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen. Er hat damals auch regelmäßig mit Lorenzo Da Ponte gearbeitet, den man heute vor allem als Librettisten von Mozart kennt. Eigentlich hatte Da Ponte „Così fan tutte“ für Salieri geschrieben, nur fand der das Libretto zu schwach. Tja. (Lächelt.)
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Diana Damrau, die die Alzima 1998 in der dt. Uraufführung in Würzbug spielte, singt „Fra i barbari sospetti“ (Nr. 30)
Wie sehen Sie den Opernkomponisten Salieri, Herr Berger?
Martin G. Berger: Ich kann da nur zustimmen, wobei ich im Gegensatz zu Christophe Rousset kein Salieri-Experte bin. Mich hat diese Oper im positiven Sinne völlig überrascht. Sie ist sehr theaterwirksam und lässt immer wieder unvermutete Effekte aufblitzen: Wenn da etwa jemand seine Arie intoniert, und plötzlich singt eine andere Person rein – das hat mich schon sehr verblüfft. Mitunter erweckt diese Musik den Eindruck, sie sei durchkomponiert, obwohl sie natürlich mit den Formen ihrer Zeit arbeitet, nummernartig aufgebaut ist und Rezitative verwendet. Aber durch die kreative Mischung der Formen macht diese Musik einen offenen, flüssigen Eindruck.
Wie gelungen ist die Figurenzeichnung?
M. B.: Sowohl die Musik als auch das Libretto porträtieren die einzelnen Charaktere prägnant. Ich finde, das macht eine gute Komödie auch aus. Ich hatte nie das Problem, die Akteure dieses Librettos zu verwechseln, weil sie so klar gezeichnet sind. Erfreulich auch die Bandbreite unterschiedlicher Charaktere. Salieri hat seiner Oper den Untertitel „Dramma eroicomico“ gegeben, sie also ein heroisch-komisches Drama genannt. Da gibt es ein Opera-seria-Paar, also das verliebte Duo Alzima und Timur, aber auch Gestalten wie Lipi, der vor allem effektvoll und komisch angelegt ist, und zwischen diesen beiden Polen ganz unterschiedlich angelegte Charaktere. Manche Bühnensituation ist richtig spaßig, sodass man als Regisseur in Komödiantik schwelgen kann, dann wieder tauchen schmerzvolle oder fragile Situationen auf, gemeinsam mit einer zarten, intimen, schönen Musik.
Wenn es sich um eine heroisch-komische Oper handelt, wer ist dann ihr Held? Es ist schwer, in dieser bissigen Satire einen zu entdecken: Kublai Khan, der despotische, trinkfreudige Herrscher der Mongolen, will seinen etwas tumben Sohn Lipi mit der bengalischen Prinzessin Alzima verheiraten. Das allerdings ist nicht nur dem Khan-Neffen Timur ein Dorn im Auge, der in Alzima verschossen ist, sondern auch Lipis intrigantem Erzieher Posega.
C. R.: Wer hier ein Held sein könnte, lässt sich schwer beantworten. Komisch ist diese Oper zweifellos, das Wort „heroisch“ dagegen bezieht sich vermutlich auf Kublai Khan.
M. B.: Aber das wohl mit einem Augenzwinkern. Kublai hält sich für einen großen Helden, wird aber immer wieder auch ein bisschen der Lächerlichkeit preisgegeben.
Mitunter sogar recht kräftig: Wenn er zum Beispiel auf dem Sofa seinen Rausch ausschläft. Salieris Mongolen-Oper kam 1788 nicht zur Aufführung, sondern verbrachte Jahrhunderte im Dornröschenschlaf der Schublade. Lag das auch an ihrer satirischen Schärfe?
C. R.: Das Problem des Stückes war wohl weniger der satirische Tonfall als das Opfer dieses Spottes. Das Libretto von Giambattista Casti veräppelt in Wahrheit nicht die Mongolen, sondern macht sich über den russischen Hof lustig. Das war zu der Zeit allerdings nicht willkommen, weil Zarin Katharina II. und Joseph II. ein Bündnis gegen das osmanische Reich geschmiedet hatten.
M. B.: Es ist eigentlich nie ein Problem, sich über „die anderen“ lustig zu machen. In diesem Fall waren die „anderen“ aber zu „Freunden“ geworden. Dadurch war das Stück wohl nicht mehr opportun.
Hat es die Zensur damals explizit verboten?
M. B.: Unser Dramaturg hat das recherchiert und keine Belege dafür gefunden. Aber vermutlich war ein solches Verbot gar nicht nötig, um Salieri und Casti von der damaligen Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens zu überzeugen. Meine Regiearbeit bezieht sich auf diese historische Faktenlage, spitzt sie am Beginn des Abends aber zu einer filmhaft-dramatischen Situation zu. Ich lasse Salieri im Rahmen eines Vorspiels auftreten und dem Publikum die tragischen Worte verkünden: „Entschuldigung, aber wir dürfen nicht weitermachen.“