Stattdessen halte ich es lieber mit den drei Damen aus Mozarts „Zauberflöte“: „Von festem Geiste ist ein Mann, Er denket, was er sprechen kann!“. In meiner Zeit als Trompeterin im Orchester der Deutschen Oper Berlin war ich immer die Einzige, die aus der Ecke der Blechbläser an dieser Stelle geschmunzelt hat. Ich schweife ab. Rollenbilder. Ein weites Feld!
Zurück zu den Berufen der Zukunft. Es wird wohl niemand leugnen: Unsere Welt ist im Umbruch. In der Komplexitätsforschung spricht man von multiplen Krisen: Wirtschaft, Energie, Bildung, Klima – dazu noch der Krieg in der Ukraine. Haben da Kunst und Musik überhaupt noch eine Relevanz für uns Menschen? Haben Sie sich auch schon bei der Frage ertappt, zu welchem Beruf Sie jungen Menschen heute noch raten können? Technische Berufe, Informatik, Betriebswirtschaft, Medizin, Journalismus, Mathematik, Jura? Vor dem Hintergrund der Künstlichen Intelligenz könnten viele der bisher gut bezahlten Berufe weniger wichtig werden. Denn mit zunehmender Digitalisierung und Ausführung von Arbeiten durch Computer könnte der arbeitende Mensch in vielen Berufen nicht mehr so zentral wie heute sein. Nicht überflüssig. Aber er wird sicher nicht mehr in der Quantität gebraucht werden wie bisher.
Wenn zudem die jüngeren Generationen stärker auf eine gute Work-Life-Balance setzen, vulgo auf viel Freizeit, wird der Wunsch entstehen, diese Freizeit mit etwas Sinnstiftendem und Motivierendem zu füllen. Was könnte das sein? Die digitale Welt. Bestimmt. Sport! Klar! Sport ist immer gut. Und Kunst! Sehr gut! Und… halt! Da war doch noch etwas… Musik!
Musizieren ist phänomenal: Vielfältig, multistilistisch, integrativ, innovativ. Wir können ausführend oder „konsumierend“ sein, alleine oder mit anderen gemeinsam Musik machen und genießen, von klein bis groß, oder gleich altersgemischt, und es gibt wunderbare Herausforderungen für jedes technische und musikalische Niveau. Wir können sogar mit Menschen musizieren, selbst wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen. So könnte die Musik also auch in Sachen Migration und multikulturelle Gesellschaft eine ganz neue Relevanz bekommen.
Könnte! Ein Konjunktiv! Könnte, wenn da nicht der Fachkräftemangel wäre. Der Bundesvorsitzende vom Verband deutscher Musikschulen VdM, Friedrich-Koh Dolge, spricht immer von unseren drei großen Herausforderungen in der Musikpädagogik: Digitalisierung, Ganztagsbetreuung an Schulen und Fachkräftemangel. Die Musikpädagogik, an einigen Musikhochschulen jahrzehntelang eher lieblos und wenig wertschätzend behandelt, mausert sich gerade beinahe unbemerkt zu einem zukunftsweisenden Berufsfeld! Der Fachkräftemangel bewirkt, dass die wenigen Bewerber:innen, die es aktuell auf dem deutschen Stellenmarkt gibt, auf eine Festanstellung statt auf Honorarverträge hoffen dürfen. In Baden-Württemberg wurde kürzlich sogar die erste Stelle mit Dienstwagen ausgeschrieben. Im Bereich EMP – Elementare Musikpädagogik.
Natürlich müssen, um Festanstellungen vergeben zu können, seitens der öffentlichen Hand die Rahmenbedingungen stimmen. Denn was nicht von der Hand zu weisen ist: Viele Kommunen sind klamm, der Geldbeutel ist leer. Trotzdem steigt der Bedarf an qualifiziertem Musikunterricht. Das nehmen nicht nur die Musikschulen wahr, sondern auch die Schulen, die ihren Musikunterricht immer häufiger fachfremd erteilen lassen oder (wie in Bremen) mittels eines „Taschenspielertricks“ gleich direkt streichen, weil kein Personal gefunden werden kann. In Bremen gehören auf Grundschulebene nämlich die Fächer Sport, Kunst und Musik nun zum Cluster „Ästhetische Fächer“, was bedeutet, dass es ausreicht, nur eines dieser Fächer belegt zu haben, wie ein im Mai 2023 viral gegangener Beitrag des SWR beschreibt.
Aber nicht nur in Bremen, sondern auch anderenorts fehlt es schlicht an Personal für die Musik. Allzu häufig muss der Schulmusikunterricht fachfremd erteilt werden. Eine große Herausforderung!
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Aber nicht in allen Berufsfeldern der Musik besteht Fachkräftemangel: Viele freiberufliche Musiker:innen mussten in den letzten Jahren aufgeben oder sich stark einschränken, weil Konzerte und Veranstaltungen nicht mehr wie zu Vor-Coronazeiten gebucht und durchgeführt werden. Bei der Konzertorganisation ist man vorsichtiger geworden. Und nicht zuletzt die hohe Zahl qualifizierter Musiker:innen zeigt, dass an den Musikhochschulen hochwertige Ausbildung stattgefunden hat. Ein umfangreiches Angebot steht also einer geringer gewordenen Nachfrage auf Seiten der Veranstalter:innen gegenüber. Da greift das Gesetz des freien Marktes. Der Preis für diese Tätigkeit sinkt.
Viele freiberuflich Konzertierende, aber auch Orchestermusiker:innen haben durch die Coronakrise hingegen das Unterrichten längst als eine motivierende und sinnstiftende Beschäftigung entdeckt: Die Chance, daran mitzuarbeiten, wie Lernende sich mit unserer Unterstützung die Welt der Musik erarbeiten, wie ihre Musik zu klingen beginnt und sie beflügelt und wie wir unser musikalisch-kulturelles Erbe kreativ an die nächste Generation weitergeben können.
Unsere Aufgabe ist so vielfältig wie unsere Schülerinnen und Schüler und die Musik selbst. Auch können wir sehr einfach lohnenswerte Projekte in den Unterricht integrieren und ihn somit auch für uns immer neu und spannend halten. Der Bedarf an Inspiration für guten Unterricht ist hoch, ebenso der Wunsch nach Weiterqualifizierung und Fortbildung.
So bleibt für mich die Musik weiterhin ein wichtiges Berufsfeld, zu dem ich musikalisch qualifizierten jungen Menschen gerne rate. Denn wer in der Lage ist, mit dem, was er oder sie tut, das Herz des Gegenübers zu berühren, Menschen etwas für ihr Leben Relevantes mitzugeben, der wird mit der eigenen beruflichen Tätigkeit gefragt sein und eben nicht durch eine künstliche Intelligenz oder einen Computerkurs ersetzt werden.